Genie und Wirrkopf: André-Marie Ampère
Paris, Anfang des 19. Jahrhunderts: André-Marie Ampère ist spät dran. Hurtig eilt der Professor durch die Straßen. Doch die Hast fordert ihren Tribut: Auf dem Weg über eine Brücke stolpert er über einen Stein. Er hebt ihn auf und untersucht gedankenverloren seinen Fund. Plötzlich erinnert Ampère sich an seine Vorlesung. Ein Blick auf die Uhr verrät: Jetzt wird es eng. Da steckt er hastig den Stein in die Tasche und wirft seine Uhr in die Seine.
Multitalent ohne Schulbildung
Diese Anekdote aus seinem Leben zeigt den verträumten Charakter, der André-Marie Ampère zugeschrieben wird. Sein Genie ist jedoch unbestritten. Schon als Kind gilt der Physiker und Mathematiker als Multitalent. Mit zwölf Jahren verschlingt er die 35-bändige Enzyklopädie von Denis Diderot und Jean d'Alembert. Daneben lernt er Griechisch, Latein sowie Italienisch im Selbststudium und hegt Interessen in den Disziplinen Botanik, Metaphysik und Psychologie. Eine Schule besucht das 1775 in Lyon geborene Kind der Aufklärung nie. Und trotzdem sollten seine Ideen zum Elektromagnetismus die Welt verändern.
Drei Erfindungen, die es ohne Ampère nicht gäbe
- Magnetresonanztomographie: Der Blick in den menschlichen Körper erfolgt mit einem tonnenschweren Elektromagneten. Dessen geistiger Vater ist Andre-Marie Ampère.
- Elektromotor: Ampère erkennt 1820, dass man ein Magnetfeld durch eine Drahtspule verstärken kann. Damit setzt er einen Meilenstein auf dem Weg zum Elektromotor.
- Telegrafen: Der Franzose formulierte die Idee für einen elektromagnetischen Telegrafen. Diese bildet die Basis für die erste gelungene Nachrichtenübertragung per Magnetnadeltelegraf im Jahr 1833.
André-Marie Ampère und der Elektromagnetismus
Ampères Interesse an der Wissenschaft treibt ihn voran. Sein 1802 verfasstes Werk zur Spieltheorie bringt ihm wissenschaftliche Anerkennung; seine Abhandlung über partielle Differentialgleichungen die Mitgliedschaft in der französischen Akademie der Wissenschaften. Ampère ist ein Tausendsassa, doch auch ein Eigenbrötler. Und so befindet er sich mit Mitte 40 mit seiner Arbeit immer noch überall und nirgendwo. Seine Studien dienen bestenfalls als Fußnoten in Lehrbüchern. Der Durchbruch gelingt ihm 1820: André-Marie Ampère erfährt von den Versuchen Hans Christian Ørsteds zur Ablenkung einer Magnetnadel durch Strom. Sogleich beginnt er mit Elektrizität zu experimentieren.
Dem Magnetismus auf der Spur
Ampère weist nach, dass Magnetismus seine Ursache in elektrischen Strömen hat. Sein Versuchsaufbau ist so einfach wie genial: Er erkennt, dass Ørsted bei seinem Experiment nicht die Ablenkung des Magneten durch das Erdmagnetfeld beachtet hatte. Deswegen baute er eine Apparatur mit einer Nadel, die sich senkrecht zum Erdmagnetfeld ausrichten lässt. So kann dessen Einfluss kompensiert werden. Damit reduziert er erstmals alle magnetischen Phänomene auf rein elektrische Effekte – eine bahnbrechende Entdeckung. Zur Messung des Stroms konstruiert André-Marie Ampère zudem eigens ein Gerät: den Galvanometer.
Pionier der Elektrodynamik
Mit seinem Versuch zeigt Ampère, dass Ströme nicht nur auf Magnetnadeln wirken, sondern auch aufeinander. Zwei parallele, stromdurchflossene Drähte ziehen einander an oder stoßen sich ab – je nach Stromrichtung. Später entdeckt Ampère, dass man Drähte zu Spulen biegen kann. Fließt dadurch Strom, entsteht ein Magnetfeld. Dessen Stärke hängt davon ab, wie oft der Draht der Spule gewickelt ist. Diese Erkenntnisse fasst der Franzose in Formeln. Sie bilden die Grundlage für die weitere Entwicklung der Elektrodynamik – vor allem durch den Schotten James Clerk Maxwell.
Newton der Elektrizität
Noch zu seinen Lebzeiten avancieren Ampères Publikationen zu Bestsellern. Das bringt ihm spät, aber doch Ruhm und sogar die Bezeichnung „Newton der Elektrizität“ ein. Seinen Lebensabend widmet der brillante Denker der Philosophie. Im Jahr 1836 stirbt er 61-jährig in Marseille. Bis heute gilt André-Marie Ampère als Begründer der Elektrodynamik. Die Anerkennung endete nicht mit seinem Tod: „Ampere“ wird zur Einheit des elektrischen Stroms. Darüber hinaus verewigt Alexandre Gustave Eiffel den Namen des Physikers auf dem Pariser Eiffelturm.
Die Erkenntnisse André-Marie Ampères markieren einen Wendepunkt in der wissenschaftlichen Betrachtung und reichen bis in unseren heutigen Alltag hinein. Ob Magnetresonanztomographie, Elektronenmikroskope oder Magnetschwebebahnen: Nichts davon wäre ohne die Experimente des französischen Wunderknabens möglich, der einst seine Uhr in der Seine versenkte.