Smart Living und Innovationen 24.04.2015

Relikte des Wahnsinns

Brisante Funde beim VERBUND-Renaturierungsprojekt Traisen

Im April 1945 war der Krieg längst verloren. Dennoch lieferten die Reste der deutschen Armee, darunter Eliteverbände der SS, der Roten Armee heftige Gefechte. In den Dörfern entlang der Donau kam es zu tagelangem Kampf, einzelne Ortschaften im Raum Tulln wurden mehrfach gestürmt und zurückerobert.

Doppelt traf es die Ortschaften rund um Zwentendorf, heute Standortgemeinde des Donaukraftwerks Altenwörth und des Projektes LIFE+ Traisen. Im benachbarten Moosbierbaum stand ein wichtiges chemisches Werk zur Erzeugung von Treibstoff, den Hitlers Kriegsmaschinerie dringend benötigte.

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Richard Richter vom Heimatmuseum Zwentendorf möchte nicht als Militärexperte gelten. Er ist aufmerksamer Zuhörer und Chronist der Ortsgeschichte und listet in seiner Dorfchronik 12 massive Luftangriffe in der Gegend auf. Aus amerikanischen Archiven ist bekannt, dass über 5.000 Tonnen Bomben über dem Gebiet abgeworfen wurden - zumeist bei Nacht und entsprechend schlecht gezielt. Gegenüber des Heimatmuseums liegt die Kirche mit dem obligatorischen Krieger-Gedenkstein. Die schwülstige Überschrift  spricht von „Helden“. Überraschender Weise werden dort auch die Namen von Frauen, die durch das Kriegsgeschehen, vermutlich Bombenangriffe, ums Leben kamen, aufgeführt.  

Zu den Verwüstungen der Bombardierungen kamen in den letzten Kriegstagen dann noch die Schäden aus den Gefechten. In seinem neu aufgelegten Standardwerk „Der Krieg in Österreich 1945“ berichtet der Historiker Manfred Rauchensteiner, dass die russischen Truppen hinter Zwentendorf fünf Mal zurückgeschlagen wurden. Ende April richtete sich die Rote Armee gar zur Verteidigung ein. Das Rätsel erklärt das Rauchensteiner mit der Sorge russischer Generäle, dass sich die amerikanischen Alliierten im letzten Augenblick möglicherweise mit dem Deutschen Reich gegen die Sowjetunion verbünden könnten.



Das Studium alter Militärkarten und Gespräche mit Zeitzeugen gehört für Jan Schüttauf zur Grundlage seiner Arbeit. Der „Feuerwerker“ leitet die Kampfmittelräumung für LIFE+ Traisen und sucht mit seinem Trupp jeden Quadratmeter des Projektgebietes ab. Die empfindlichen Sonden finden vom Nagel über Hasenstallgitter jedes Metallteil und oft genug auch Kriegsmaterial jeder Sorte: neben Fliegerbomben zeugen vor allem Artilleriemunition und Granatwerfer-Geschosse von dem sinnlosen und wahnsinnigen Kampf, der den Krieg um Tage verlängerte. Hinter der Front geschahen gleichzeitig unfassbare Gräueltaten - vom Justizmord an Deserteuren über Massaker an politischen Gefangenen wie in Krems bis zu den Todesmärschen von KZ-Häftlingen. In zahlreichen Gedenkveranstaltungen wird an diese finstere Epoche erinnert.

Das Kriegsmaterial, vom Blindgänger bis zur zurückgelassenen Granate, schlummerte jahrzehntelang in der Au und geriet in Vergessenheit. Ältere Mitarbeiter im Kraftwerk Altenwörth erinnern sich an die 1960er Jahre, wo die Kriegsgegenstände zur Au gehörten wie heutzutage weggeworfener Zivilisationsmüll. Oft genug entsorgten die zurückgekehrten Kriegsflüchtlinge bei ihrer Rückkehr die Munitionsreste auf ihren Feldern und Höfen mangels Alternativen kurzerhand in Wald und Au.


Niemand kümmerte sich um diese stummen Zeitzeugen, bis die VERBUND-Bagger anfingen, für das LIFE+ Projekt Taisen einen neuen Flussverlauf zu schaffen. Seitdem wird unermüdlich nach Sprengstoff und Munition gesucht. Die Kampfmittelräumer kommen aus dem Staunen nicht heraus.

Hunderte Artilleriegeschosse sind in der Au verteilt. Bei manchen Blindgängern muss der Entminungsdienst des Innenministeriums anrücken und vorsichtshalber gleich sprengen. Der Zahn der Zeit nagt an den tödlichen Relikten und die Brisanz nimmt mit dem Alter zu. Jan Schüttauf berichtet von Forschungsergebnissen, die dem Weltkriegs-Sprengstoff bereits enorme Explosionsgefahr bescheinigen. Ein Hammerschlag könnte als Zündung ausreichen, sogar die Erschütterung beim Transport. Deswegen die Sprengungen, zu der dann das Projektgelände weiträumig abgesichert werden muss.



Es hätte auch eine Handgranate sein können: buchstäblich Glück bei der Suche haben Detlef Jacobsohn und Detlef Piata bei ihrer heutigen Suche.



Aufgrund der Fundlage muss jeder Ausschlag der Suchgeräte ernst und sorgfältig untersucht werden, auch wenn dadurch mitunter Bauarbeiten nur schleppend voran kommen. Sicherheit geht vor - und der Lohn wird eine ökologische Aulandschaft sein, die gänzlich frei von Relikten aus der Zeit des Kriegs-Wahnsinns sein wird.



70 Jahre Kriegsende ist auch für uns Anlass, sich mit der eigenen Unternehmensgeschichte auseinanderzusetzen. Die umfassende, aber vergriffene Aufarbeitung von Prof. Oliver Rathkolb zum Thema Zwangsarbeiter in der E-Wirtschaft wurde jüngst neu aufgelegt:
http://www.boehlau-verlag.com/978-3-205-79571-1.html

Mehr zum Projekt LIFE+ Traisen unter www.life-traisen.at

Heimatmuseum Zwentendorf: www.museum-zwentendorf.at